Im Windschatten des Olympioniken – Rheinische Post vom 20.07.2024

RP-20-07-2024
Im Windschatten des Olympioniken

Der isländische Olympionike Ragnar Gudmundsson hatte sich etwas in den Kopf gesetzt: Er wollte von seiner alten Wahlheimat bis an die Nordspitze Jütlands rennradeln. Dirk Schröter begleitete ihn.

SCHLICHERUM/HJORRING | Nach 1100 Kilometern im Windschatten des Olympioniken und Ironman Ragnar Gudmundsson (und genauso oft auch als dessen Tempomacher) hatten er und Dirk Schröter das gemeinsame Ziel erreicht – die Nordspitze Jütlands. Mit dem Rennrad. Unfallfrei. Erst wieder daheim in Schlicherum ereilte Schröter das Verletzungspech. Beim Treppensteigen. Das ist weder Extremsport, noch olympisch – und eine ganz andere Geschichte.

Diese hier handelt von zwei Jungs in einem Alter, wo man(n) es noch mal wissen will. Und weil Schröter (57) wie Gudmundsson (56) Ausdauersportler sind, sollte es etwas in dieser Richtung sein. Und weil beide Rennrad fahren, kam am Ende nur eine Etappenfahrt im Fahrradsattel infrage. Natürlich mit einem „Bio-Bike“, wie heute jeder Drahtesel heißt, der ohne elektrische Kurbelassistenz daherkommt.

Von Schlicherum nach Hjorring sollte es gehen, von Schröters Heimatadresse zu dem Zuhause des gebürtigen Isländers Gudmundsson im hohen Norden Dänemarks. Dort hat sich der Diplomsportlehrer schon vor Jahren mit seiner deutschen Frau niedergelassen, die er an der Sporthochschule Köln kennengelernt hat. An der „SpoHo“ kreuzten sich 1989 auch die Wege von Schröter und ihm – woraus eine lebenslange Freundschaft wurde.

Bei einem ihrer regelmäßigen Video-Telefonate rückte Gudmundsson im Frühjahr mit einer Idee heraus, die er offenbar schon lange im Kopf hatte. Aus seiner alten Wahlheimat, dem Rheinland, wollte er in seine neue Heimat rennradeln. „Und mich hatte er sich als Opfer ausgesucht“, sagt Schröter.

Aber die Sorge, dass er hinter dem ehemaligen Olympioniken mit heraushängender Zunge herhecheln würde, bewahrheitete sich nicht. Gudmundsson hatte zwar in seinen wilden Jahren drei Ironman-Triathlons in einem Jahr absolviert, fand jedoch erst kurz vor dem Start dieser Tour wieder Zeit für ein paar Trainingsrunden über 100 und mehr Kilometer. Schröter wiederum hatte sich im vergangenen Jahr dem Radsport-Club Nievenheim angeschlossen – seine Hobbyfahrer-Runde „Die Kurbelhelden“ hatte sich aufgelöst – und trainiert seitdem zwei Mal die Woche. Mittwochs geht es nach Feierabend auf eine 80-Kilometer-Runde, sonntags, berichtet er, werden 100 Kilometer abgestrampelt. Er fühlte sich fit.

Nachdem Anfang und Ende feststanden, mussten Etappenziele definiert werden. Dabei wurde nicht geschaut, wie weit die Kräfte wohl reichen würden, sondern wo jemand gastfreundliche Aufnahme signalisierte. Wer sechs Tage lang mit nur gut fünf Kilo Gepäck auskommen muss, der braucht das – und auch mal eine Waschmaschine. Irene Breil, eine Freundin aus Neuss, die inzwischen in Münster lebt, bot dabei das erste Nachtquartier an.

So wurden die 1100 Kilometer zwischen Schlicherum und Hjorring in sechs Etappen eingeteilt. Übernachtungsorte waren Münster, Bremen, Hamburg, Flensburg (wo ein einziges Mal ein Hotel gebucht werden musste), Silkeborg – und Hjorring. Die längste Etappe stand am Tag vier an, als es von Curslack, einem der südlichsten Ortsteile Hamburgs, nach Flensburg ging. Genau 209,8 Kilometer hatten beide abends in den Beinen. Aber ihr „Akku“ beim Start am Morgen war voll, nachdem Sven und Sandra, eine Studienfreundin von Ragnar, als Herbergseltern tags zuvor für ein opulentes Abendessen gesorgt hatten. „Purer Luxus, diese Gastfreundschaft“, sagt Schröter in der Rückschau.

Überhaupt hätte es für das Duo in diesem Sommer mit seinem unbeständigen Wetter kaum besser laufen können. Fast die ganze Zeit wehte der Wind aus südwestlicher Richtung, sagt Schröter. Echter „Schiebewind“ also für Radfahrer, die ihrem Kompass immer Richtung Nordosten folgten. Und der Himmel öffnet nur ein einziges Mal die Schleusen – und das auch nur für zwei Stunden.

Angekommen in Hjorring, standen die beiden Sportler vor einer Entscheidung: Sollten sie auch die letzten knapp 60 Kilometer bis Skagen, dem allernördlichsten Punkt Dänemarks, noch mit dem Fahrrad zurücklegen? Letztlich entschieden sie sich dagegen, nahmen den Zug – und genossen den Ort, wo Nord- und Ostsee zusammenfließen, ohne dass sie ein Radhelm drückt.

Neue Projekte hätten beide nicht verabredet, berichtet Schröter. Sein Freund Ragnar, der gerade offiziell aus dem dänischen Schuldienst verabschiedet wurde, werde sich nun auf andere Tätigkeiten konzentrieren. Unter anderem arbeitet Gudmundsson, der bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul als Schwimmer über 400 und 1500 Meter Freistil für Island an den Start ging, künftig für den isländischen Schwimm- und Triathlonverband. Und Schröter hat bei der Landesgartenschau Neuss GmbH angeheuert. Für die soll er sich um den Bereich Sponsoring kümmern.

(Von Christoph Kleinau)

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