Neuss ist eine Radsportstadt
Neuss · Der vom Neusser Radfahrerverein angebotene Mix aus Spitzensport, Familienfest und Party macht Lust auf noch viel mehr. Kommt die Deutschland Tour?
Radsportprofis sind schon aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt. Bevor Phil Bauhaus bei der 22. Tour de Neuss in einem packenden Duell mit Tim Torn Teutenberg zum Sieg sprintete, fand der 31-Jährige tatsächlich noch Zeit, die Schönheit des Augenblicks zu genießen. Am Ende der langen Zielgeraden auf der Kaiser-Friedrich-Straße sog er die Abenstimmung an der von mehr als 25.000 Zuschauern gesäumten Strecke förmlich auf. „Es hat Spaß gemacht, in den Sonnenuntergang zu fahren“, stellte er mit einem verschmitzten Lächeln fest.
Nur zur Erinnerung: Der Mann hatte nur drei Tage zuvor die wohl härteste Rundfahrt der Welt beendet, legte bei der Tour de France in 21 Etappen genau 3338,8 Kilometer zurück. Und auch das Straßenrennen in Neuss ist nicht von Pappe. Auf den 62 Runden mit ihren vier scharfen Kurven „musst du 248 Mal abbremsen und direkt wieder antreten“, hat der im Auftrag des veranstaltenden Neusser Radfahrervereins als Sportlicher Leiter für die Verpflichtung der Fahrer zuständige Markus Fothen ermittelt. „Das ist schwer, wenn du das nicht gewohnt bist. Das musst zu trainieren.“ Und ist natürlich Gift für eh schon strapazierte Beine.
Nils Politt, bei der Frankreich-Rundfahrt im UAE Team Emirates-XRG als Top-Helfer mit Haut und Haaren für den unvergleichlichen Tadej Pogačar im Einsatz, ging trotzdem ans Limit. Bis zum Schluss fuhr der Hürther, am Samstag bei der 20. Nacht von Quadrath schon wieder gefordert, voll auf Sieg. Am Ende landete der 31-Jährige auf Rang zehn und verpasste damit nach seinen Triumphen 2018 und 2022 die Chance, mit dem Triple-Sieger André Greipel gleichzuziehen. Aufs Gemüt drückte ihn das freilich gar nicht. Ganz im Gegenteil kündigte der deutsche Straßenmeister von 2022 selbstbewusst an: „Ich werde meine Karriere ja nicht dieses Jahr beenden, bin also bestimmt noch zwei, drei Mal in Neuss am Start. Darum lautet meine Ansage an André: Ich werde ihn noch überholen.“
Dass er diesem Ziel nicht schon bei der 22. Auflage näherkam, lag mit ziemlicher Sicherheit an der krankheitsbedingten Absage von Georg Zimmermann. Denn nur weil der Vorjahressieger auf der Kaiser-Friedrich-Straße krankheitsbedingt abgesagt hatte, holte sich Fothen bei seinem Teamchef noch am Dienstag (!) das Okay für einen Start von Nikias Arndt in Neuss ab. Der wie Bauhaus bei Bahrain Victorious unter Vertrag stehende 33-Jährige gehört in der Quirinusstadt mit seinen nun elf Teilnahmen ohnehin fast schon zum Inventar, lag aber seit dem Frühjahr auf Eis. Der sympathische Kölner war Ende März beim Radrennen „Classic Brugge – De Panne“ böse gestürzt und hatte sich dabei unter anderem einen Brustwirbel gebrochen. „Ich bin mit Tempo 60 vor einen Baum gefahren“, erinnert sich Arndt mit Schrecken an den Unfall. „Das hätte auch anders ausgehen können.“
Seither hatte er keinen Wettkampf mehr bestritten. Bei seinem Comeback am Mittwoch machte er sich vor allem als Helfer für seinen Teamkollegen verdient, führte ihn am Ende in einer Verfolgergruppe fast im Alleingang wieder an die Ausreißer Nils Politt und Niklas Märkl (Team Picnic Post/NL) heran. Dass sich Bauhaus im Duell mit Tim Torn Teutenberg („Vielleicht habe ich den Sprint etwas zu früh angezogen.“) schließlich durchsetzte, freute Arndt fast genauso wie den Triumphator selbst. Bauhaus, der in Neuss bereits 2023 gewonnen hatte, war nach längerer Verletzung noch ohne Saisonsieg angereist und hatte daher vor dem Start gesagt: „Es wäre schön, wenn ich es hier schaffen würde.“ Arndt hofft, sich mit seinem beherzten Auftritt für einen Start bei der Deutschland Tour vom 20. bis 24. August empfohlen zu haben.
Die als Teil der UCI ProSeries 2025 aus einem Prolog und vier regulären Etappen bestehende Profirundfahrt könnte demnächst wie bereits 2008 Station in Neuss machen. „Die Gespräche laufen“, bestätigte Bürgermeister Reiner Breuer am Rande der Strecke. „Das Potenzial ist da, Neuss ist eine Radsportstadt – und mit den entsprechenden Partnern ist das zu schaffen.“ Gerne erinnert er sich in diesem Zusammenhang auch an die großartige Stimmung am 2. Juli 2017, als die zweite Etappe der Tour de France durch Neuss und Büttgen führte. Dass die Deutschland Tour stets mit dem Schützenfest kollidiere, sei ein lösbares Problem, findet er. „Das muss eben sehr gut koordiniert werden.“
Mit der Tour de Neuss betrieb die Stadt auf jeden Fall beste Werbung in eigener Sache. So resümierte der mehrfache Welt- und Europameister Roger Kluge (Rembe-Rad-net) nach seinem Spurt auf Platz drei im Gespräch mit den Moderatoren Andreas Paffrath und Tobias Stümges fast schon euphorisch: „Das war mein bestes Jahr in Neuss: Die Stimmung war bombastisch! Die Leute an der Strecke haben Party gemacht – da vergisst du deine Schmerzen.“
Dem beim Neusser Radfahrerverein für die Pressearbeit zuständigen Olaf Ziegs war indes auch bewusst, „dass wie riesiges Glück mit dem Wetter hatten.“ Und mit dem Blick auf viele strahlende Gesichter fügte er schmunzelnd hinzu: „Das Glück ist eben mit den Tüchtigen …“
Ergebnisse 22. Tour de Neuss
Elite Männer, 62 Runden (80,6 km)
1. Bauhaus, Phil (Bahrain Victorious) 1:41,00 Stunde, 60 Punkte; 2. Teutenberg, Tim Torn (Lidl – Trek), 50 Punkte; 3. Kluge, Roger (REMBE | rad-net), 45; 4. Behrens, Timo (Alpecin-Deceuninck Development Team), 40; 5. Märkl, Niklas (Team Picnic PostNL), 35; 6. Behrens, Niklas (Team Visma | Lease A Bike), 30; 7. Teutenberg, Lars (FC Lexxi Speedbike), 25; 8. Bauer, Dominik (VfR Büttgen/ROSE Racing Circle) 22; 9, 9. Arndt, Nikias (Bahrain Victorious), 20; 10. Politt, Nils (UAE Team Emirates XRG), 19; 11. Wrobel, Jesko (RC Staubwolke Quadrath/Nonstop Feelings), 18; 12. Fröse, Marcel (Nordh. RSG Bad Harzburg), 17; 13. Riha, Vladi (VC Vegesack), 16; 14. Niehues, Sebastian (RSV Münster/Team Kern-Haus), 15; 15, Roor, Maxim (REMBE | rad-net), 14; 16. Reißig, Patrick (Benotti Berthold), 13; 17. Rüger, Timm (RV Blitz Spich/Team Kern-Haus), 12; 18. Willemsen, Robin (RSC Stadtlohn 1968/Team Kern-Haus), 11; 19. Luhmer, Daniel (RV Blitz Spich), 10; 20. Schmitt, Simon (BIKE AID), 9; 21. Messerschmidt, Jonas (FabianRun&Race-Wibatech), 8; 22. Knolle, Jon (REMBE | rad-net), 7. 23. Ritterbach, Martin (RSC Nievenheim), 6, 24. Borresch, Julian (REMBE | rad-net),5; 25. Schumacher, Nils (RSC Nievenheim), 4; 26. Köpsel, Jonas (RV Adler Lüttringhausen), 27. Voege, Lennart (REMBE | rad-net), 28. Gießelmann, Michel (RSV Gütersloh 1931/ROSE Racing Circle); 29. Vortkamp, Clemens (VfR Büttgen 1912/Max Solar Cycling Team), 30. Kuhn, Jan (FC Lexxi Speedbike/ROSE Racing Circle), 31. Clauss, Marc (Radtreff Campus Bonn/Team Kern-Haus); 32. Thurau, Sven (VfR Büttgen 1912/ROSE Racing Circle); 33. Weber, Philip (Benotti Berthold); 34. Meinberg, Eric (Benotti Berthold); 35. Dik, Calvin (Benotti Berthold); 36. Augenstein, Moritz (RSV Irschenberg); 37. Walker, Simon (RV Komet Delia 09 Köln)
Schüler U11, 13 Kilometer
1. Thimm, Phil-Udo (RV Schwalbe Trier); 2. Immel, Jonas (VfR Büttgen 1912)
Schüler U13, 17 Kilometer
1. Zühlke, Julius (VfR Büttgen 1912); 2. Wronka, David (RC Schmitter Köln); 3. Giesselmann, Philipp (VfR Büttgen 1912), 4. Meyer, Birko (VfR Büttgen 19125); Dulak, Tumi (RC Schmitter Köln)
Schüler U15, 20 Kilometer
1. Schmitz, Kilian (VfR Büttgen 1912); 2. Roth, Jakob (RC Schmitter Köln); 3. Immel, Alexander (VfR Büttgen 1912); 4. Günther, Jakob (SG Radschläger 1970 Düsseldorf); 5. Grümer, Frederik (RC Schmitter Köln); 6. Heymanns, Ben (VfR Büttgen 1912); 7. Edelbroich, Luis (RC Victoria Neheim)
Schülerinnen U15, 20 Kilometer
1. Kirsch, Grete (VfR Büttgen 1912); 2. Bauerfeind, Carla (RC Schmitter Köln)
NGZ vom 31.07.2025
Von Dirk Sitterle – Sportredakteur